Ich weiß nicht, wie es den anderen Jungs aus unserer Reisegruppe geht, aber bei mir hat (gut eine Woche vorm Abflug) inzwischen das große "Kribbeln" eingesetzt. Komischerweise bewirkt das weniger der Fußball-Virus, als viel mehr die Aussicht im fernen Asien mit einer völlig fremden Kultur konfrontiert zu werden. Das fängt mit der Zeitverschiebung an (bisher hatte ich in meinem Leben nur eine peripher wahrgenommene Differenz von zwei Stunden in Russland), geht über die Schrift und Sprache (ein undurchdringliches Mysterium) und hört bei Sitten und Gebräuchen auf.

  So ist z.B. die Benutzung von Taschentüchern verpönt, stattdessen wird bei Schleimaufkommen in Mund und Nase lustig hochgezogen. Höflichkeit wird großgeschrieben, wobei ich mir vorstellen kann, dass im modernen Industrie-Staat Korea auch die asiatische Etikette im Zuge der Globalisierung gelitten hat. Bei einem Vorbereitungstreffen im sehr gutem Restaurant "Seoul" an der Göttinger Chaussee Anfang Mai konnte eine freundliche Bedienung uns jede Menge guter Tipps für unsere Tour geben. Interessanterweise stieß unsere Absicht nach Süd-Korea zu fliegen, bei der jungen Koreanerin auf ein wenig Unverständnis. Auf Nachfrage bedauerte sie den Umstand, dass zu viele Autos und auch zu viele Menschen die Städte ihres Landes nicht gerade zu Oasen der Entspannung machen. Aber was soll es, Autos und Hektik sind wir gewohnt, notfalls kuschelt man sich intensiver in die Arme des aufregenden Lust-Objekts WM-Fußball. Und allein die Partie Brasilien gegen Türkei ist den Trip alle mal wert.

  Ich sehe sie vor mir, die extrem motivierten Türken im Spiel gegen die Fußballgötter vom Zuckerhut. Ich glaube hier mal an ein 3-1 für die Selecao und zwei rote Karten für die Türkei. Da wird es brennen auf dem Platz, soviel ist sicher! Mein nicht besonders einfallsreicher Weltmeister-Tipp ist erneut Frankreich, die Truppe um den Leverkusen-Killer Zidane ist einfach auf allen Positionen erstklassig besetzt und strotzt vor Selbstbewusstsein. Und auch hier haben wir mit dem Match Frankreich - Uruguay sicherlich eine Perle in unserem Ticket-Kontingent. Wenn die Urus ihrem Treter-Image treu bleiben (die sollen der Mär nach ja auch der Grund für die Einführung der Roten Karte sein - bitte liebe Experten, verbessert mich, wenn´s nicht stimmt), dürfen wir uns auf üble Szenen freuen, wenn der pfeilschnelle Henry versucht die Abwehr der Süd-Americanos zu überrennen. Bitte versteht mich jetzt nicht falsch, ich will natürlich filigrane, schöne und spannende Spiele sehen, aber so das ein oder andere Kapitel aus der Rubrik "hässliche Fratze des Fußballs" darf schon dabei sein.

  Mit der Wahl, Japan zu ignorieren und dem deutschen Team unsere Aufwartung zu verweigern, haben wir mit Blick auf die Form unserer Truppe scheinbar richtig gelegen. Ehrlicherweise muß ich natürlich eingestehen, dass dabei das Finanzielle aber eigentlich ausschlaggebender Faktor war. Japan ist einfach zu teuer. Da wären wir mit unseren veranschlagten 3000 Euro für 3 Wochen nicht weit gekommen. Auch das ist natürlich ganz schön happig, aber zur WM in Asien kommen wir nur einmal im Leben, das ist absolut klar!

  Da bin ich bei der Stelle angelangt, mich nochmals bei allen Freunden, Musikern (deckt sich mitunter) und DJ´s zu bedanken, die uns mit dem Einsatz ihrer körperlichen Leistungen bei diversen WM-Geldbeschaffungsaktionen unterstützt haben. Ich werde Euch zum Dank Hundefleischsaft mitbringen, den wir dann in geselliger Runde genießen werden. Zuerst wollte ja die hundefleischverarbeitende Industrie Süd-Koreas aus Gründen des Imagegewinns den vermeintlich leckeren Kläffer-Trunk kostenlos in den Stadien verteilen. Man höre und staune als Erfrischungsgetränk mit isotonischer Wirkung! Leider hat die starke, westliche Hundefreund-Lobby diesen reizvollen Feldversuch im Vorfeld verhindert.

  ... Da hat ein Land schon mal Eigenarten und dann kommen selbsternannte Moral- & Pietätswächter daher und bügeln alles in eine Norm. Hey, die Hunde, die da zu Saft verarbeitet werden oder einfach in die Pfanne gehauen werden (wo sie dann vielleicht auch verrückt werden - kommt da die lustige Redensart her? ) sind nicht dieselben, die als Haustier akzeptiert ihre Häufchen in den Park machen. Das sind Zuchttiere! Und bevor sich jetzt jemand aufregt, gebe ich zu bedenken, dass Fleischverzehr ohnehin eine fragliche Essgewohnheit ist. Da bin ich jetzt Prinzipienreiter: Entweder lehnt man es grundsätzlich ab oder man lässt anderen Kulturen die eigene Betrachtungsweise hinsichtlich des Speiseplans. Schade nur, dass Kampfhunde aufgrund ihrer überproportionalen Muskelbeschaffenheit bestimmt nicht lecker sind. Das würde vielleicht auch hier einige Probleme lösen!

  Genug von den treuen Vierbeinern, kommen wir wieder zurück zum Kern des Pudels unserer Reise. Die höflliche Zurückhaltung, die man den Koreaner nachsagt, im Hinblick auf die Stimmung in den Stadien macht mir ein wenig Sorge! Da Asien von Europa, Afrika oder Süd-Amerika aus gesehen ein weiter & kostspieliger Weg ist, werden wahrscheinlich nicht so viele Fans der beteiligten Mannschaften ihre Teams anfeuern. Aber wir werden unser Bestes geben, versprochen! Das fängt mit Splitti an, der schon seit Wochen im Georgengarten für seinen großen Auftritt als Flitzer bei unserem letzten Spiel übt. Für alle, die vergessen haben, was ein Flitzer ist: Das sind splitternackte (daher auch der Spitzname Splitti) Leute, die bei großen Menschenversammlungen (Stadien, Innenstadt, Festen…) an den Sicherkräften vorbei über den Platz laufen, um im Glanze der Öffentlichkeit einmal im Mittelpunkt einer teils geschockten, teil amüsierten Menge zu stehen (oder zu laufen).

  Angst bereitet Splitti nur der ziemlich rustikale Ruf der koreanischen Polizei, die z.B. schon mal mit scharfer Munition in eine friedliche Studenten-Demo schießen. Und gerade nach dem 11. September sind auch dort die Gesetzeshüter hoch sensibilisiert, diesbezüglich schützt ihn das Adamskostüm wahrscheinlich vor der sofortigen Exekution.

  Aber getreu unserem Tour-Motto "no risk, no fun" muß man alles mal gemacht haben. Vielleicht hat dann das Béi Chéz Heinz im Juli mit einem Soli-Konzert unter dem Motto "Free Splitti" endlich mal die Möglichkeit etwas für seinen politischen Ruf zu tun. Überhaupt ist dieses Land voller Widersprüche, die im Spannungsfeld zwischen Tradition und "modernen" Leben im Industrie-Staat eigentümliche, manchmal nicht zu verstehende Stilblüten hervorbringt. So gibt es in Seoul eine Kneipe mit dem Namen "das Dritte Reich"! Als einer von uns auf NDR 4 eine Reportage über diese Lokalität im Autoradio hörte, hätte er fast einen Unfall gebaut. Im "Dritten Reich" bringt die Bedienung in schwarzen Hemden das Eisbein mit Sauerkraut an den Tisch und der ganze Laden soll mit Nazi-Devotionalien dekoriert sein. Da kommt Unverständnis bei uns auf, haben die Süd-Koreaner doch unter der Besatzung des damaligen deutschen Achsenpartners Japan in unvorstellbarer Art und Weise gelitten. Diese Wunden sind bis heute nicht verheilt, insbesondere wenn man die sture chauvinistische Haltung Japans in Bezug auf Sühne und Reue betrachtet.

So soll die erste WM, die in zwei Ländern stattfindet, zur Entspannung beitragen. Aber ein kleiner Blick über die asiatische Reisschale hinaus täte dabei sicherlich auch gut. Aber mir scheint, dass Japan und Süd-Korea bei ihrer Unterhaltungssucht, die Grenzen des Geschmacks gerne mal kopflos überschreiten. Wir werden weitere Eigentümlichkeiten entdecken und von diesen gerne auf diesen Seiten berichten.

Zum Schluß noch ein Wort zu dem Mann, ohne den diese Reise höchstwahrscheinlich so nicht zustande gekommen wäre: Unser formidabler Organisationschef Andy, Verwalter des Gemeinschaftskontos der F.S.K. (Friends Of South Korea), Beschaffer der Eintrittskarten, Routenplaner, Mahner an uns Schlaffis, dass wir die Formalitäten erledigen müssen (Reisepass, Int. Krankenschein usw.), Initiator dieser Seiten (mit Fränk,- auch Dir vielen Dank) und Kopf vom Ganzen. Ohne ihn würden wir wahrscheinlich höchstens ein Saisonvorbereitungsspiel von Lübeck gegen Meppen sehen. Lieber Andy, du organisierst, wie du kochst: Einfach grandios!

So das war es von meiner Seite fürs Erste. Schaut schön im Fernsehen, ob Ihr uns im Trubel ausmachen könnt. Ich werde die ganze Zeit winken und wenn ich das nicht tue, verzehre ich Kim-Chi (scharfer Kohl) & schreibe meine Eindrücke für diese Seiten.

Euer Peter